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Die eigene Erfahrung am Steuer

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Gestern habe ich ein Youtube-Video einer Frau gesehen, deren Blog ich seit einiger Zeit verfolge. Sie hat ihre Tochter, ihr drittes Kind, zuhause allein in der Gebärwanne geboren (interessiert? Schaut mal hier: „Stand and Deliver„).

Während ich ihr zugeschaut hab wie ich sie ihre Geburt bearbeitet und Wehen veratmet, hab ich mich natürlich zurück versetzt in meine Geburten gefühlt. Mal davon abgesehen bleibt es ein fast unbegreifbares Wunder für mich, dass eine Frau ein Kind durch sich selbst aus die Welt bringen kann. Der Akt der Geburt bleibt für mich ein großes Naturereignis, begleitet von Staunen, Erfurcht und Demut.

Worauf ich aber hinaus will: während ich ihr zugeschaut habe, hatte ich das Bedürfnis danach ihr zu helfen. Sie zu retten, etwas was ihr die Arbeit erleichtert oder sie sogar für sie erledigt. Ich  merkte, wie ich während jeder Wehe mitfieberte und nach Anzeichen suchte, dass etwas nicht stimmt.

Das ist eine große Erkenntnis für mich.

Denn das ist vermutlich eine der Wurzeln, warum man als Geburtshelferin Unheil anrichten kann. Der Wunsch einzugreifen, zu helfen, zu erleichtern, abzuwenden. Das Schrillen falscher Alarmglocken und das Missverstehen der Nuancen dieses großen Naturschauspiels. Das fällt ja dem Menschen bekanntlich öfter mal schwer: zu verstehen, dass das eine existieren kann – genauso wie das andere, zeitgleich und gleichwürdig. Trotz Schmerz kann auch Freude, tiefe Berührung, Angst und Mut, Widerwille und Loslassen existieren.

Und dass man nicht das Recht hat, der Frau diese Erfahrungen zu stehlen oder abzuwenden. Es ist eine Gratwanderung zwischen Hilfe anbieten, aber nicht verunsichern und aufdrängen.

Diesen Grat zu begehen, darauf kommt es wohl an.

Die schmerzlose Geburt #1

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Im Laufe der letzten 30 Jahre, parallel zu den Hippy-Bewegungen, hat sich eine Geburtskultur entwickelt, die sich der Geburtsmedizin entgegen gestellt hat. Back to the roots:  unter einem ausladenden Sommerbaum die Hüfte kreisend, tiefe Tierlaute von sich gebend gebärten die Frauen plötzlich ihre Babys, die sie danach liebevoll auf die Brust nahmen, um sie danach von selbst zur Brust finden zu lassen. Wir haben dieser Bewegung viel zu verdanken – sie ist es, die mächtige Kräfte aufgebracht hat und noch heute die Grundfesten der Geburtsmedizin erschüttert, sodass endlich wirkliche Fakten über die Geburt auf den Tisch kommen, nach denen gearbeitet wird (Evidenz basierte Medizin) und die Frauen und Kinder tendenziell eher die Betreuung und Begleitung bekommen, die sie verdienen und benötigen.

Aber natürlich gibt es in jeder Bewegung extreme Ausläufer. Ein entsprechendes Phänomen wäre die Behauptung, dass die Geburt eigentlich ein schmerzfreier Vorgang wäre – würde die Frau nicht so zugeschüttet mit Ängsten, Interventionen und unpassenden Geburtsatmosphären. Um Missverständnissen vorzubeugen: ich spreche niemandem eine schmerzfreie oder -arme Geburt ab. Es gibt solche Geburtserfahrungen – daran zweifle ich nicht im Geringsten.

Als eine der Trägerinnen dieses Glaubens seien zu nennen Marie F. Mongan, die eine Methode namens Hypnobirthing erdacht hat. Ihre Methode umfasst eingehende Aufklärung zu den Vorgängen während der Geburt, die Ermutigung sich passende Geburtsbegleiterinnen* zu suchen, Entspannungsmaßnahmen, Atmungsübungen und diverse Elemente der Hypnose und Selbsthypnose. Mongan bietet indirekt Hyponobirthing-Kurse durch zertifizierte Hypnobirthing-Kursleiterinnen an, sowie ein Buch (wobei empfohlen wird, beides zu kaufen …).

Klingt nicht verkehrt, oder? Informationen über die Abläufe, die Frauen anregen selbstinformierte und -bestimmte Entscheidungen zu treffen und ihnen „Handfestes“ zu geben, mit dem sie sich durch die Wehen arbeiten können. Dazu kommt allerdings noch der penetrante Ton und die propagandaartige Anpreisung der Möglichkeit, schmerzfrei zu gebären. Man muss sich nur frei von Ängsten machen, eine geborgene Atmosphäre haben und natürlich sowohl das Buch, als auch die Kurse durchgearbeitet haben. Bei Youtube kann man sich dann an regnerischen Sonntagen davon überzeugen, dass es möglich ist. Frauen gebären fast geräuschlos und geistig an einem scheinbar besseren Ort ihre Kinder: Hier oder hier.

Wenn das mal nicht eine Karotte vor der Nase ist. Denn das Problem ist: so viele Stimmen fanatisch an der Möglichkeit festhalten, Geburt könne und müsse eigentlich schmerzfrei oder mindestens wie ein straffer Spaziergang an einem Frühlingstag sein – so viele Stimmen enttäuschter Hypnobirthing-Hoffenden gibt es zu hören. Manche sind wütend, manche sind traurig. Aber die meisten klingen doch ziemlich enttäuscht – hatte man Ihnen doch den heiligen Gral versprochen, die schmerzlose Geburt. Der Traum aller Frauen seit Anbeginn der Zeit.

Oder nicht? (… weiter geht’s im zweiten Teil )

* Männer sind mitgemeint.

Einblicke: Atmen, Singen, Gebären

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Mit diesem Post ergibt sich eine neue Rubrik – „Einblicke“, in die ich Rezensionen und Erfahrungsberichte von Büchern, Blogs, Bilder, Zeitschriften, Foren, Vereine etc. stopfen möchte. Natürlicherweise möchte ich die Medienauswahl auf die offensichtlichen Themen beschränken, nämlich Schwangerschaft, Geburt, Stillen, Hebammentum, Mutterschaft, Weiberkram – ihr versteht. Hast du Lust einen „Einblick“ zu schreiben? Nur zu – zögere nicht, das hier ist schließlich als Collagenblog zu verstehen. Nun aber zum Buch

Atmen, Singen, Gebären von Frédérick Leboyer

Atmen, Singen, Gebären

Atmen, Singen, Gebären

Nur ein paar Worte zum Autoren, Wikipedia hält wie immer Detaillierteres bereit: Leboyer ist ein Urgestein in der Geburtmedizin / -hilfe. Seine Haupterrungenschaft ist die Verbreitung der „sanften Geburtshilfe“. Im Speziellen ist damit gemeint, dass Wärme und Gefühl zurück in die Geburtshilfe fließen sollte. Die Unterstützung des Bondings durch eine entsprechende Atmosphäre ist angestrebt, aber auch eine gewisse Grundhaltung des Respekts gegenüber der Mutter und des Kindes, das sich auf dieser Welt willkommen fühlen soll.

Atmen, Singen, Gebärenwurde 2006 veröffentlich als das bisher jüngste Buch von Leboyer. Ich finde, das ist ein erinnerungswürdiger Fakt, wenn man sich an das Lesen des Büchleins macht.

Die Quintessenz ist meiner Meinung nach eine wichtige und hilfreiche – nämlich dass das Tönen gebärender Frauen während der Wehen nicht nur eine übliche Randerscheinung der Geburt ist, für so manche Hebamme sicher auch als lästig oder anstrengend empfunden. Sondern darüber hinaus – es ist nicht nur normal zu tönen, es ist auch hilfreich. Leboyer beschreibt, dass verschiedene Laute und damit Positionen des Gesicht-Mund-Bereichs eine Wechselwirkung mit dem Voranschreiten der Geburt haben.

Diese Erkenntnis ist nicht nur wichtig für Gebärende, die während der Lektüre des Buches aufgefordert werden, Tönlaute ruhig schon mal im Vorraus auszuprobieren. Es kann auch hilfreich sein für Geburtshelferinnen um den Geburtsfortschritt abschätzen zu können. Als weiteres Werkzeug im „Hebammenkoffer“ zur Vermeidung unnötiger vaginaler Untersuchungen während der Geburt sicherlich sehr wertvoll, kann ich mir vorstellen.

Leboyer schlägt folgende Tön-Buchstaben vor: A, E, O, I, U, M und ordnet jedem eine gewisse Wirkung zu. So bewirkt beispielsweise das Tönen des A die größte Öffnung des Mundes. E zu Tönen schenkt dem Gesicht einen lächelnden Ausdruck, O ist eine sanftere Öffnung als das A und ist sicherlich in Anfangsstadien der Geburt üblicher, weil es keine so extrovertierte Äußerung ist. Ein I zieht das Gesicht in ein stärkeres Lächeln als das E, ein U ist ein noch „kleinerer“ Ton als O. Zu guter letzt wird das M beschrieben, dass ein aus der Tiefe kommendes Brummen heraufbeschwört und den ganzen Körper in Schwingung bringt.

Wer sich nun fragt, was die ganze Buchstaben-Durchhechelei soll, dem kann ich folgendes antworten: verschiedene Studien (die ich jetzt nicht anführe) ergeben eine Wechselwirkung der Gesichtszüge auf die Stimmung und damit verbunden Hormonausschüttung. Beispielsweise fördert das rein körperliche Lächeln, ohne dass einem nach Lächeln zumute ist, trotzdem eine Endorphin-Ausschüttung. Hinzu kommt die Verbindung zwischen Mund und Muttermund, die inzwischen auch empirisch nachgewiesen ist. Ist der Mund locker, ist der Muttermund locker.

Nach der kleinen Buchstabenkunde nach Leboyer stelle ich mir an dieser Stelle gern verschiedenste Leute vor, die in einer unbeobachteten Minute die Wirkung des Tönens dieser Buchstaben auf sich selbst erforschen. Nur zu – Selbstversuche finde ich ja gerade in der Geburtshilfe sehr aufschlussreich.

Nun zu den Schattenseiten von „Atmen, Singen, Gebären„:

Leboyer wirkt ziemlich fanatisch in seinem Schreiben. Beispielsweise sind Geburtsberichte von Frauen abgedruckt, die scheinbar sehr zufrieden sind mit ihren Geburten und Leboyer danken wollen für sein Engagement und Wissensvermittlung. Leboyer lässt sich jedoch ausschweifend darüber aus, was diese Frauen im Laufe ihrer Geburt aus seiner Sicht falsch gemacht haben. Er kritisiert die selbstgewählten Geburtspositionen der Gebärenden, als geborgen beschriebene Momente mit dem Partner während der Geburt, Geburt im Wasser und noch einiges mehr. Seiner Aussage nach hätten Männer in der Geburtshilfe nichts zu suchen – trotzdem ermächtigt er sich doch (immerhin ja selbst als Mann), mit starren und dogmatischen Sichtweisen die Geburten dieser zufriedenen Frauen zu bewerten und zu bemängeln. Das alles passiert in florierendem Stil, der von französischen Filmen bekannt ist. Wortschwall über Wortschwall, sehr ausufernd und fast schon lyrisch anmutend, ergießt sich das Ganze über den Leser. Vermutlich wäre das Buch in klarer, schnörkelarmer Sprache auch keine 110 Seiten, sondern nur 60 Seiten lang geworden.

Die anhängende CD mit Tambura-Musik ist ziemlich laienhaft gemacht, ich mochte sie mir kaum anhören, geschweige denn Mittönen.

Hier also mein Fazit:

Die Grundaussage des Buches finde ich wichtig und sehr lehrreich. All das ließe sich allerdings auch auf wenigen Seiten beschreiben. Die ganzen, aus meiner Sicht ziemlich selbstverherrlichenden und anmaßenden, Leserinnenbriefzerfetzungen hätte man sich sparen können. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Herr Leboyer in seinem inzwischen hohen Alter sehr dogmatisch und starr geworden ist. Für den Preis eher ein Buch zum Ausleihen als zum Kaufen.

Tönend, Oona