Mit diesem Post ergibt sich eine neue Rubrik – „Einblicke“, in die ich Rezensionen und Erfahrungsberichte von Büchern, Blogs, Bilder, Zeitschriften, Foren, Vereine etc. stopfen möchte. Natürlicherweise möchte ich die Medienauswahl auf die offensichtlichen Themen beschränken, nämlich Schwangerschaft, Geburt, Stillen, Hebammentum, Mutterschaft, Weiberkram – ihr versteht. Hast du Lust einen „Einblick“ zu schreiben? Nur zu – zögere nicht, das hier ist schließlich als Collagenblog zu verstehen. Nun aber zum Buch
Atmen, Singen, Gebären von Frédérick Leboyer
Atmen, Singen, Gebären
Nur ein paar Worte zum Autoren, Wikipedia hält wie immer Detaillierteres bereit: Leboyer ist ein Urgestein in der Geburtmedizin / -hilfe. Seine Haupterrungenschaft ist die Verbreitung der „sanften Geburtshilfe“. Im Speziellen ist damit gemeint, dass Wärme und Gefühl zurück in die Geburtshilfe fließen sollte. Die Unterstützung des Bondings durch eine entsprechende Atmosphäre ist angestrebt, aber auch eine gewisse Grundhaltung des Respekts gegenüber der Mutter und des Kindes, das sich auf dieser Welt willkommen fühlen soll.
„Atmen, Singen, Gebären“ wurde 2006 veröffentlich als das bisher jüngste Buch von Leboyer. Ich finde, das ist ein erinnerungswürdiger Fakt, wenn man sich an das Lesen des Büchleins macht.
Die Quintessenz ist meiner Meinung nach eine wichtige und hilfreiche – nämlich dass das Tönen gebärender Frauen während der Wehen nicht nur eine übliche Randerscheinung der Geburt ist, für so manche Hebamme sicher auch als lästig oder anstrengend empfunden. Sondern darüber hinaus – es ist nicht nur normal zu tönen, es ist auch hilfreich. Leboyer beschreibt, dass verschiedene Laute und damit Positionen des Gesicht-Mund-Bereichs eine Wechselwirkung mit dem Voranschreiten der Geburt haben.
Diese Erkenntnis ist nicht nur wichtig für Gebärende, die während der Lektüre des Buches aufgefordert werden, Tönlaute ruhig schon mal im Vorraus auszuprobieren. Es kann auch hilfreich sein für Geburtshelferinnen um den Geburtsfortschritt abschätzen zu können. Als weiteres Werkzeug im „Hebammenkoffer“ zur Vermeidung unnötiger vaginaler Untersuchungen während der Geburt sicherlich sehr wertvoll, kann ich mir vorstellen.
Leboyer schlägt folgende Tön-Buchstaben vor: A, E, O, I, U, M und ordnet jedem eine gewisse Wirkung zu. So bewirkt beispielsweise das Tönen des A die größte Öffnung des Mundes. E zu Tönen schenkt dem Gesicht einen lächelnden Ausdruck, O ist eine sanftere Öffnung als das A und ist sicherlich in Anfangsstadien der Geburt üblicher, weil es keine so extrovertierte Äußerung ist. Ein I zieht das Gesicht in ein stärkeres Lächeln als das E, ein U ist ein noch „kleinerer“ Ton als O. Zu guter letzt wird das M beschrieben, dass ein aus der Tiefe kommendes Brummen heraufbeschwört und den ganzen Körper in Schwingung bringt.
Wer sich nun fragt, was die ganze Buchstaben-Durchhechelei soll, dem kann ich folgendes antworten: verschiedene Studien (die ich jetzt nicht anführe) ergeben eine Wechselwirkung der Gesichtszüge auf die Stimmung und damit verbunden Hormonausschüttung. Beispielsweise fördert das rein körperliche Lächeln, ohne dass einem nach Lächeln zumute ist, trotzdem eine Endorphin-Ausschüttung. Hinzu kommt die Verbindung zwischen Mund und Muttermund, die inzwischen auch empirisch nachgewiesen ist. Ist der Mund locker, ist der Muttermund locker.
Nach der kleinen Buchstabenkunde nach Leboyer stelle ich mir an dieser Stelle gern verschiedenste Leute vor, die in einer unbeobachteten Minute die Wirkung des Tönens dieser Buchstaben auf sich selbst erforschen. Nur zu – Selbstversuche finde ich ja gerade in der Geburtshilfe sehr aufschlussreich.
Nun zu den Schattenseiten von „Atmen, Singen, Gebären„:
Leboyer wirkt ziemlich fanatisch in seinem Schreiben. Beispielsweise sind Geburtsberichte von Frauen abgedruckt, die scheinbar sehr zufrieden sind mit ihren Geburten und Leboyer danken wollen für sein Engagement und Wissensvermittlung. Leboyer lässt sich jedoch ausschweifend darüber aus, was diese Frauen im Laufe ihrer Geburt aus seiner Sicht falsch gemacht haben. Er kritisiert die selbstgewählten Geburtspositionen der Gebärenden, als geborgen beschriebene Momente mit dem Partner während der Geburt, Geburt im Wasser und noch einiges mehr. Seiner Aussage nach hätten Männer in der Geburtshilfe nichts zu suchen – trotzdem ermächtigt er sich doch (immerhin ja selbst als Mann), mit starren und dogmatischen Sichtweisen die Geburten dieser zufriedenen Frauen zu bewerten und zu bemängeln. Das alles passiert in florierendem Stil, der von französischen Filmen bekannt ist. Wortschwall über Wortschwall, sehr ausufernd und fast schon lyrisch anmutend, ergießt sich das Ganze über den Leser. Vermutlich wäre das Buch in klarer, schnörkelarmer Sprache auch keine 110 Seiten, sondern nur 60 Seiten lang geworden.
Die anhängende CD mit Tambura-Musik ist ziemlich laienhaft gemacht, ich mochte sie mir kaum anhören, geschweige denn Mittönen.
Hier also mein Fazit:
Die Grundaussage des Buches finde ich wichtig und sehr lehrreich. All das ließe sich allerdings auch auf wenigen Seiten beschreiben. Die ganzen, aus meiner Sicht ziemlich selbstverherrlichenden und anmaßenden, Leserinnenbriefzerfetzungen hätte man sich sparen können. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Herr Leboyer in seinem inzwischen hohen Alter sehr dogmatisch und starr geworden ist. Für den Preis eher ein Buch zum Ausleihen als zum Kaufen.
Tönend, Oona