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Birth Rape

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(Achtung, kann triggernde Szenarien enthalten)

Für diesen Artikel einen Titel zu finden fällt mir etwas schwer. Hierzu inspiriert hat mich dieser Artikel auf http://birthactivist.com: „What Feminists Should Know About Birth Rape“.

In der Szene der am Thema Geburt interessierten Menschen, überschnitten und zum Teil deckungsgleich mit Teilen des Feminismus – geht ein Raunen durch die Rotte. Der Grund dafür ist der Begriff „Birth Rape“, der im Deutschen noch nichtmal einen Namen hat. Wollen wir ihm einen geben, so kommt oft Ratlosigkeit zu Tage. Geburtsvergewaltigung kann man doch kaum sagen, hier so im deutschen Raum, oder? Wie wäre es mit dem Begriff „Vergewaltigung in geburtsmedizinischem Zusammenhang“ – wir Deutschen mögen ja lange Wortketten. Unser Füllstandsanzeige für Bildung pendelt dann immer so schön nach oben. Also bleiben wir bei „Vergewaltigung in geburtsmedizinischem Zusammenhang“ – Kommentare mit Vorschlägen zur Umbenennung sind herzlichst Willkommen!

Um mal die Definitionen zu klären: eine Vergewaltigung ist ein sexueller Übergriff auf einen anderen Menschen, durchgebracht mit körperlicher oder verbaler Gewalt – also gegen den Willen des Opfers. Und damit sind wir auch schon beim Tabu-Thema. Nämlich, dass sowas in Kreißsälen statt findet und dass das keine Seltenheit ist.

So gern die Gynäkologie uns seit Entstehung der Fachrichtung davon überzeugen möchte, dass ihr Gebiet nichts mit Sexualität zu tun hat – sie hat es doch. Im Zentrum der Gynäkologie, und damit Geburtsmedizin als Teilgebiet, steht nun einmal die individuelle Frau mit ihren Körper- und Seelenteilen. Die Geburtsmedizin und -hilfe betreut ein sexuelles Wesen, die Frau in schwangerem Zustand. Das Augenmerk der Geburtsmedizin liegt auf den Geschlechts- und Fortpflanzungsorganen der Frau, dem assoziierten Sitz ihrer Sexualität. Eine Betreuung in diesem Bereich, auch wenn der Fokus gern auf das angeblich asexuellen Kind gelegt wird, bleibt eine an Sexualität und damit Empfindsamkeit und Intimität geknüpfte Begleitung.

Drei Beispiele für Menschen, die gern verstehen möchten, was mit Vergewaltigung mit geburtsmedizinischem Zusammenhang gemeint ist:

1. Karla hat ein Haus. Weil man das eben so macht, wie ihre Freundinnen erzählt haben, holt sie regelmäßig Handwerker ins Haus, die die Rohre, Fenster, Dämmung und so weiter überprüfen. Normalerweise läuft das so ab: es klingelt, Karla geht zur Tür, öffnet sie und der Handwerker steht vor der Tür. Sie begrüßt ihn und da sie ihn kennt, ihn für einen guten Handwerker hält und ihn ja auch zu sich bestellt hat, lässt sie ihn rein. Er fragt, ob er die Schuhe vor der Tür lassen soll und wenn er mal Pippi machen muss, fragt er auch, ob er mal das Bad benutzen darf. Natürlich räumt Karla vor einem Handwerkertermin ihr Haus auf: dreckige Unterwäsche kommt in den Wäschekorb, der Bindeneimer wird geleert und ihre Vibratorsammlung verschwindet im Schrank.

2. Wenn es aber nun so liefe: es klingelt, Karla öffnet die Tür und mit dreckigen Schuhen tritt ihr ein Handwerker entgegen, schubst sie aus der Tür und läuft an ihr vorbei den Gang entlang. Er ist eine halbe Stunde zu früh und auf der Treppe liegen noch die dreckigen Klamotten von letzter Nacht. Er rümpft die Nase und sagt „Uärks, Frau G. – so wären sie aber keine gute Mutter, die Unordnung die hier herrscht“.  Er schaut sich in der Wohnung um und sagt „Ich geh mal eine Stange Wasser wegstellen“, verzieht sich ins Bad – in dem der volle Bindeneimer steht und auf Leerung wartet. Aus dem Bad kommt der Handwerker mit der Bemerkung „Na, diesen Monat wohl keinen Braten inner Röhre, wa – jedenfalls wenn man den ganzen vollgesauten Binden da glauben darf?“ und geht weiter […].

Und so weiter – ihr könnt euch das Szenario sicher vorstellen. Das ist nicht nur unfreundlich, Karla fühlt sich sicher auch unwohl in ihrem Haus, ihrer Haut und ist mindestens wütend.

3. Jetzt stellt euch vor, es klingelt nicht an Karlas Haustür. Sie hört draußen Schritte und will grad zur Tür gehen, da zersplittert diese und ein Mann steht in der Tür – in Handwerkerkluft. Ohne ein Wort geht er an ihr vorbei und schaut hastig durch jedes Zimmer, spuckt auf den Boden, macht abfällige Bemerkungen zu seinem Kollegen hin, der noch draußen steht und darüber lacht. Er reißt ihr Waschbecken aus der Wand, das ein wenig geleckt hat – ähnlich wie in Beispiel 2 – und reagiert weder auf Karlas lautstarke Proteste noch Hilferufe […].

Es fällt nicht schwer zu verstehen, dass es hier um Karlas Haus ging. Ginge es um ihren Körper, in den Ärzte ohne Absprache, Informationen, Nachfrage Finger oder Gegenstände stecken und damit u.U. verletzen – auch Bitten oder Flehen aufzuhören ignorierend – dann könnte man annähernd verstehen, was Vergewaltigung im geburtsmedizinischen Zusammenhang bedeutet. Es bedeutet aber auch, dass dem Opfer nicht zugehört wird. Es bedeutet, dass Übergriffe jeder Art mit pseudofaktischen Gründen wegerklärt werden können. Noch immer lebt der Mythos des Halbgott in Weiß. Es bedeutet, dass die Opfer keine Anerkennung als Opfer erfahren, sondern doch „froh sein sollten, dass sie und das Kind gesund sind“. Es bedeutet, dass sie nicht nur sexualisierte Gewalt erfährt, sondern auch der Start in ein Leben als Mutter immens gestört wird.

Mir ist es wichtig die Menschen zu sensibilisieren. Die Frauen dafür, dass sie das Recht haben zu entscheiden – an jedem Punkt der Schwangerschaft und Geburt. Die Angehörigen dafür, dass Geburt keine Gewalterfahrung von außen beinhalten sollte und darf – dass es nicht normal ist. Und medizinischen Personal und Hebammen dafür, dass sie unter vielen anderen ihre Arbeit nicht an jemandem, sondern für jemanden tun. Auch, dass sie nicht weggucken und Situationen bagatellisieren dürfen. Und, dass jede Vergewaltigung verfolgt werden sollte – im Besonderen die, die gesellschaftlich noch immer akzeptiert sind.