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„Weil ich ein starkes Mädchen bin, Schatz…“

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In den letzten Monaten ist mir viel über das Geburts(hilfe)system in Deutschland bewusst geworden, was mir vorher nicht so klar gewesen ist. Diesmal drehen sich meine Gedanken um übergewichtige Schwangere und deren Begleitung durch ihre aufregende Zeit der Mutterwerdung. Wie damals schon geschrieben, gehöre ich selbst zu den Frauen, die in der Plus Size Ecke einkaufen gehen. Und das nicht erst seit Kurzem, sondern seit meiner Kindheit und natürlich auch durch meine Schwangerschaften hindurch.

Während meiner Praxiseinsätze habe fest gestellt, wie verbohrt medizinisches Personal auf das Thema Übergewicht reagiert. Wenn man glaubt, die Behandlung von Schwangeren und Gebärenden wäre in unserer Kultur an der Pathologie orientiert, dem kann man noch einmal ein Klimax zeigen bei der Betreuung von übergewichtigen Schwangeren.

Dazu muss ich sagen, dass ich selbst davon wenig (wenn auch nicht garnichts) mitbekommen habe. Das mag daran liegen, dass ich mir bewusst ausschließlich Hebammenhilfe gesucht habe, die sehr auf die Physiologie bedacht war. Mir hat nie jemand gesagt, ich könne keine spontane Geburt haben, sie wäre schwieriger für mich oder ich würde meine Kinder durch mein Übergewicht gefährden.Meine Schwangerschaften waren problemlos, meine Geburten schnell und vergleichsweise leicht, meine Kinder gesund.

Nun ist nicht zu bestreiten, dass adipöse Schwangere statistisch gesehen diverse erhöhte Risiken haben an schwangerschaftsbedingten Komplikationen zu leiden.

Aber ich glaube nicht, dass das der springende Punkt ist. Es ist viel mehr die Angst der Menschen vor dem Übergewicht, vor der Identifikation mit dem Thema und mit allen, die es sind. Das geht manchmal bis zu einer unterbewussten Angst davor, sich mit „dieser Krankheit“ anzustecken. Auf einmal, wenn man der Thematik Übergewicht Raum gibt und sich damit ehrlich beschäftigt, selbst diese Willensschwäche und Maßlosigkeit in sich zu spüren, die man übergewichtigen Menschen andichtet. Ähnlich wie wenn jemand von Läusen spricht und alle fangen sich an zu kratzen.Das Thema Übergewicht ist in unserer Gesellschaft von offen geäußerten Vorurteilen behaftet, wie man es selten mehr über andere „Randgruppen“ antrifft.

Dementsprechend werden bei Frauen mit Adipositas häufiger Kaiserschnitte gemacht, obwohl diese nicht nötig sind. Auch eine PDA wird häufiger angeboten (und damit die Interventionsrate noch einmal drastisch erhöht). Man traut „den Dicken“ nichts zu und das Fatale ist, dass sie es sich selbst auch oft nicht zutrauen.

Es gibt Problematiken, die teufelskreismäßig ineinander greifen, die zum Übergewicht führen: Menschen haben einen schwerwiegenderen, oft unbewussten, Grund dick zu sein und ihrem Körper und ihrer Seele die damit verbundenen Schmerzen und Unannehmlichkeiten zu bereiten, als es nicht zu tun. Wenn sich die Seele gezwungen sieht, sich emotional durch einen physischen „Panzer“ zu schützen, dann muss das ein starker Grund sein. Warum sonst würde jemand sonst so selbstzerstörerisch handeln?

Wenn ich auch in die Problematik rund um Adipositas nicht tiefer in diesem Blog eintauchen mag, so wird doch durch die Kurzbeschreibung eins klar: die Schwangerschaft und Geburt können ein echter Wendepunkt für Frauen sein. Sie könnten beginnen, ihren Körper (den sie oft dem Geist unterordnen in seiner Wichtigkeit) wert zu schätzen und sich selbst mit Staunen, Wunder und Stolz betrachten. Die Leistung, ein Kind in sich wachsen zu lassen, ihm Platz zu geben und es zu nähren und schließlich im Kraftakt der Geburt in diese Welt zu bringen macht zu Recht stolz wie eine Löwin. Es gibt Selbstvertrauen und kann eine Versöhnung mit sich selbst beinhalten.

Insofern hat die gute Betreuung von Schwangeren mit Adipositas einen extremen Präventionswert. Ich spreche nicht nur von sinkenden Krankenkassenkosten, die mir aktuell eher herzlich egal sind (wenn ich die unnötig bezahlten Kaiserschnitte so sehe). Eher meine ich damit glücklichere Menschen, die auch Eltern sind und damit glücklichere Kinder, die dann eine Chance haben, von ihren Eltern diese gewonnen, und dann gelebten Werte zu übernehmen.

Das stille Grauen, dass Pflegepersonal und Ärzte gleichermaßen überkommt bei der Betreuung adipöser Schwangerer ist ungerecht und schließt die Augen vor den Möglichkeiten, die sich ihnen bieten (wie so oft). Eingängig blieb mir folgende Szene in Erinnerung:

Hebamme A unterhält sich mit Hebamme B über übergewichtige Schwangere, die in dieser Klinik ihr Kind bekommen wollen. Die Gewichtsgrenze ist aktuell bei 130kg, weil der OP-Tisch (sollte etwas passieren) angeblich nicht mehr aushält. Hebamme A plädiert dafür, den Grenzwert noch weiter zu senken. Sie fände die Betreuung adipöser Frauen generell abstoßend, beobachtet die Frauen nur so viel sie muss. Sie ekelt sich vor vaginalen Untersuchungen, wo, wenn die Frauen die Beine aufstellen und sie spreizen sollen, immernoch kein freier Zugang zur Vulva zu finden ist, da das ganze Beinfett dazwischen hinge. Außerdem möge sie diese Frauen nicht in Wannen gebären lassen, frei gewählte Geburtspositionen sind auch nicht gern gesehen. Man könne ja „im Notfall“ die Schwangere nicht irgendwohin hiefen. Das schaffe man als so zierliche Person ja garnicht. Hebamme B nickt zustimmend und erklärt, dass sie hofft, während ihrer Schwangerschaften irgendwann einmal nicht auch so dick zu werden.

Mir fällt bei diesem Gesprächsklumpen mit Bedauern eine Frau ein, die ohne Weiteres meiner Meinung nach hätte gebären können. Eine wunderschöne, jedoch auch sehr übergewichtige Schwangere, die mit Zuspruch und entsprechender Begleitung sich keinen primär geplanten Kaiserschnitt hätte aufschwatzen lassen. Als ihr Mann ihr für die OP Antithrombosestrümpfe anzog und dabei schwitze und keuchte, weil es eine Menge arbeit ist diese hoch zu zuppeln, fragte er, wieso diese blöden Strümpfe so einschnüren. Daraufhin erklärte ihm seine Frau: „Weil ich ein starkes Mädchen bin, Schatz…“. Ihr dabei sehr trauriges Lächeln hat mich tief berührt.

Schade, dass das Potential in der Betreuung gerade dieser Frauen so wenig beachtet wird. Für mich ein Beweis dafür, dass es eben doch nicht um Prävention und das Wohlergehen aller geht, sondern vor allem um das eigene Ego und die inneren Ängste jedes einzelnen, denen sie zu entkommen versuchen.

Zu guter letzt noch zwei Blogs zum Thema:

Wellrounded Mama (engl.) – Eine Blog, auch wenn es aktuell nicht mehr geführt wird, doch einige sehr entwaffnende Posts über allgemein bekannte Fehlannahmen über adipöse Schwangere und Gebärende enthält.

Plus Size Birth (engl.) – Auch ein Blog einer Frau, die aufgrund ihrer eigenen Erfahrung gern anderen übergewichtigen Schwangeren Mut machen möchte und eine Plattform bieten möchte, um das Thema von Ängten und Schweigen zu befreien.

A Fat Rand (engl. – Youtube) – Zu guter letzt mein Lieblingsvideo, das „Entspann dich mal“ und „Übergewicht“ kombiniert.

Adipöse Hebammen?

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Heute wird es mal etwas persönlicher. Ich bin unsicher, wie persönlich ich im Rahmen dieses Blogs werden möchte und kann. Es geht ja trotz allem um ein gewisses Maß an Anonymität. Trotz allem brennt es mir auf dem Herzen. Und da dieser Blog ja eigentlich vor allem eine Ansammlung von Gedanken / Gefühlen bzgl. meiner Ausbildung als Hebamme dienen soll, und nicht so sehr als Infoverteiler, sollte ich wohl mal damit anfangen, was?

Gestern flatterte die monatliche Ausgabe der Hebammenzeitschrift in unser Häuschen. Thema für den Monat Januar – ja immerhin DER Monat der guten Vorsätze – Adipositas. Nun betrifft mich das Thema in einer Weise auch selbst, denn ich bin selbst übergewichtig. Seit einiger Zeit hab ich das Prinzip, nicht mehr in Frauenzeitschriften reinzuschauen – weil man vom omnipräsenten Thema „ABNEHMEN“ emotional erschlagen wird. Es ist ja nicht so, dass ich mich um die Wahrheiten rund um das Thema schlängeln will und ich die Augen davor verschließe.

Es ist einfach sehr deprimierend zu lesen von erhöhten Fehlgeburtsrisiken, Herz-Kreislauferkrankungen, Geburten die wesentlich schmerzhafter seien als die von normalgewichtigen Frauen, das Stillen klappe weniger gut und außerdem verdamme man durch das eigene Übergewicht während der Schwangerschaft und Stillzeit die eigenen Kinder auch zu diesem „Schicksal“.

Man verstehe mich nicht falsch – es mag sein, dass diese ganzen Aussagen Fakten sind (oder auch nicht, das kann ich einfach nicht beurteilen). Es wirkt auf mich, als wolle man an Gewichtung des Themas aufwiegen, was andere zu seicht anpacken. Aber ganz ehrlich: eine übergewichtige Schwangere wird sicher nicht durch das Wissen abnehmen, dass ihr Übergewicht Schwierigkeiten birgen kann. Denn die Ursachen für Adipositas liegen meiner Meinung nach ganz woanders als nur am Esstisch. Und dass es keine gesunde Körperform ist, das ist wohl den meisten bewusst.

Um jetzt den roten Faden nicht komplett zu verlieren: vor kurzer Zeit gab es im Hebrech-Forum für Ausbildungssuchende die Aussage, dass adipöse Schwangere in Kreißsälen oftmals schlechter behandelt werden. Oder zumindest hinter vorgehaltener Hand abfällige Bemerkungen fallen. Ich musste das bei einer meiner Geburten auch so erleben. Und für mich stellt sich immer wieder die Frage: wie ist es denn mit adipösen Hebammenschülerinnen?

8 Stunden über den Gang zu wetzen ist körperlich gesehen keine Selbstverständlichkeit für einen adipösen Menschen. Kann ich den Grad an Fitness, den ich dafür brauche, in so kurzer Zeit generieren? Ich habe durch den Alltag mit Kindern eine gewisse Ausdauer – aber reicht die denn? Was ist mit den von den Kliniken gestellten „Uniformen“ – in meiner Größe? Schulszenario Übung an den Mitschülerinnen – Bauchmassage … usw.

Für adipöse Menschen ist das Thema oft extrem schambehaftet. Unter anderem, weil Übergewicht oft einhergeht mit der Meinung, dass es gepaart mit Faulheit, mangelnder Disziplin und Willenskraft und sogar Dummheit auftritt. Und da kann man noch so reflektiert sein – irgendwie sickert es doch immer durch.

Wo ich gerade so darüber schreibe erinnere ich mich gerade an ein Video einer amerikanischen Schauspielerin (engl.). Auch, wenn es sicher den einen oder anderen Kritikpunkt an ihrem Pep-Talk geben könnte (wo gibt es den nicht), Aufmunterung hält das Video sicher bereit:

Und jetzt ihr! Ich bin gespannt, was ihr sagt. Erfahrungen, Gedanken, Ideen – bitte schmeißt alles in den Kommentar-Topf!

Nachdenklich, Oona